Der Heidegraben in Heidelberg

Im Buch auf den Seiten 53 bis 56:

"Beim Reifendrehwerk am Waldrand nimmt der Bach das Wasser des Heidegrabens, auch Heidengraben (Heedngram) genannt, auf. Für uns Kinder war der Heidegraben, der durch das Grundstück unserer Großeltern floss, faszinierend. Es ist ein stark naturalisierter Kunstgraben, der für uns aus den Mooren um Einsiedel kam. Inzwischen weiß ich, dass er aus dem Stauteich der Kleinen Schweinitz auf der tschechischen Seite kommt und von dort über fünf Kilometer Wasser aus dem System der Schweinitz in das Seiffener Gebiet führt. Das Wasser war für den Bergbau vor allem als Aufschlagwasser für die Pochwerke nötig. 1669 wurde der Graben das erste Mal in einem Dokument erwähnt. Ab 1760 speiste er die Dämme, in der das Aufschlagwasser für das Reifendrehwerk gesammelt und die Fichtenstämme vor der Verarbeitung nass gelagert wurden. Im Reifendrehwerk lieferte das Heidegrabenwasser die Energie für mehrere Drechselplätze, auf denen nicht nur Reifen sondern auch Rohlinge für Räuchermänner gefertigt wurden.       

Opa hatte, was bei Kunstgräben sicher auch damals schon streng verboten war, eine Ableitung gebaut. Dafür nutzte er einen Stau, den eine Weide mit ihren Wurzeln erzeugt hatte und in dem wir bei warmem Wetter im immer kalten Wasser herumplanschten. Ein Minigraben führte zu einem kleinen, halbmondförmigen Teich, an dessen Ufer Schilf und Wasserlilien wuchsen, Libellen tanzten und Frösche quakten. Am Ufer stand eine Bank auf der Oma Gertrud bei gutem Wetter Kartoffeln schälte und Gemüse putzte. Interessant ist, dass sich die Halbmondform des seit 60 Jahren nicht mehr vorhandenen Teiches noch heute auf Satellitenaufnahmen abzeichnet.

Im Teich konnten wir Feuersalamander, Fischlein, Wasserläufer, Wasserspinnen und Schnecken beobachten. Gelbrandkäfer haben an den von Opa für Silvester eingesetzten Spiegelkarpfen herumgefressen – dachten wir damals. Es gab dadurch sogar Tote unter den Fischen. Der Teich hatte einen von Opa fachmännisch gebauten hölzernen Mönch. Daran habe ich gelernt, wie ein solches eigentlich ganz simples, hölzernes „Bauwerk“ zur Regulierung des Wasserstandes eines Teiches genutzt wird.

Vor der Straße wurde der Heidegraben geteilt, nachdem er zuvor noch dem Gemüsegarten meiner Oma Wasser gespendet hatte. Der obere Abzweig ging direkt in die Dämme des Reifendrehwerkes und sorgte dort für den benötigten Spiegel des Aufschlagwassers für das große Wasserrad. Das nicht benötigte Wasser wurde etwas weiter unten durch eine dicke Röhre in die jenseits der Straße liegenden Wiesen direkt zum Seiffener Bach geleitet. Durch die Betonröhre krochen wir zusammen mit den Fröschen unter der Straße durch, das war eine Mutprobe.

Leider war der seit 350 Jahren fließende Bergbaugraben im Sommer 2019 versiegt. Was ihm den zeitweiligen Todesstoß versetzt hat, zeigt die Abbildung 53. Dort wo der Heidegraben aus der Einsiedler Moor-Hochfläche tritt und die Neuhauser Straße unterquert, frisst sich die gewaltige Erdgasleitung EUGAL durch die Hochfläche. Sie verbindet die von US-Präsident Trump mit Sanktionen torpedierte Ostsee-Pipeline aus Russland mit dem europäischen Gas-Leitungssystem. 

Die in dem Dämme genannten Teich schwimmenden dicken Fichtenstämme hatten einen besonderen Reiz. Für uns Kinder war es eine Mutprobe auf den Stämmen zu balancieren und zum anderen Ufer des kleinen Teichs zu kommen. Wenn der Preißler Paul, Besitzer des Reifendrehwerks, das mitkriegte, dann kam er laut schimpfend den Damm hoch und drohte mit seinem Stock. Und wir waren natürlich im nahen Wald verschwunden. Er hatte einen guten Grund für seine Empörung: Durch die Bewegung der Stämme wurde Schlamm aufgewirbelt, der sich in den Stämmen festsetzt und die Messer beim Reifendrehen schneller stumpf werden lässt.  

Wenn man die Arbeiten an der Leitung sieht, kann man sicher sagen: Da bleibt kein Graben feucht. Das gilt nicht nur für das Bergbau- und Naturdenkmal Heidegraben, sondern auch für das ganze Quellgebiet des Seiffener Baches. Nur ein kleines Rinnsal kann im Sommer 2019 zusätzlich in die Dämme umgeleitet werden.  

Es ist kein Wunder, dass sich das große Wasserrad des Reifendrehwerkes nicht drehte – das Wasser fehlte. Die Drechselbänke werden zur Schauvorführung im Freilichtmuseum mit einem Elektromotor angetrieben. Und das trocken liegende, schon mehrfach erneuerte große Wasserrad des Drehwerkes muss bald wieder ausgetauscht werden.

Doch halt, es gibt Hoffnung: Als ich am 1. Adventssonntag 2019 nach dem Rinnsal suchte, traf ich den stellvertretenden Bürgermeister von Seiffen. Gerade dort, wo der Heidegraben und die Erdgasleitung die Neuhausener Straße unterqueren, stellte er den Damm eines Löschwasserbeckens fertig. Er erzählte, dass der Schaden durch den Erdgastrassenbau am Heidegraben behoben sei. Tatsächlich plätschert der Bergmannsgraben wieder munter Richtung Seiffener Bach. Ich bin den ganzen Graben bis hoch zur tschechischen Grenze abgelaufen. Er ist tatsächlich wieder in Takt. Fragil ist die Überführung in einer vielleicht zehn Meter langen Stahlrinne über das Tälchen eines Bergbaches in der Nähe des Wettin-Steines. Der Graben erfüllt, wie seit 350 Jahren, wieder seine Aufgabe. Nun muss es nur in den nächsten Jahren ausreichend regnen."

Soweit der Text im Buch. Dort finden Sie auch Bilder und Anmerkungen. Kommen sie anschließend noch mit zu einer Wanderung entlang des Bergbau-Grabens am 1. Advent 2019: